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Arbeitgeber für 180 Jugendliche
Arbeitgeber für 180 Jugendliche
Von Undine Zeidler - Weser Kurier 05.12.2012
Es ist eine Chance, wie Erwachsene zu arbeiten und Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, die im späteren Berufsleben von Nutzen sein können: An der Gesamtschule Tarmstedt arbeiten rund 180 Jugendliche in der Schülerfirma.
Tarmstedt. Nähmaschinen rattern in der Textil- und Kreativwerkstatt. Zur gleichen Zeit steigen in der Küche Dampfschwaden auf. Frikadellen aus Fleisch oder Gemüse brutzeln in Öl. Ernährungskunde steht auf dem Plan in der Abteilung "Gesundheit und Soziales". Derweil sitzen im Computerraum Teenager vor den Rechnern und layouten Zeitungsseiten. Sie arbeiten an der Schülerzeitung. In der Elektronikabteilung löten und konstruieren Schüler, auf der Suche nach neuen verkaufbaren Produkten. Diese Abteilungen eint, dass sie zur Schülerfirma (SFA) der KGS Tarmstedt gehören und, dass sie Gewinn erwirtschaften sollen. Zensuren gibt es für die Arbeit auch.
Seit dem Jahr 2006 besteht die Schülerfirma in der KGS. Fünf Lehrer fungieren als Abteilungsleiter. Bei ihnen arbeiten rund 80 Schüler aus dem neunten und 80 Schüler aus dem zehnten Realschul-Jahrgang. Wer keine zweite Fremdsprache gewählt hat, lernt dort im Rahmen der Profile "Technik", "Gesundheit und Soziales" oder "Wirtschaft" neben fachlichen und handwerklichen Inhalten Schlüsselqualifikationen wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, so Lehrer Gerhard Springfeld.
Vier Stunden pro Woche verbringen die Schüler in der Schülerfirma – montags die Zehntklässler, donnerstags die Neuntklässler. Dieser Blockunterricht kommt der echten Arbeitssituation sehr nahe, begründet Springfeld. Genau wie das gesamte Prozedere um die Firma herum.
Wie im echten Arbeitsleben
In der achten Klasse bewerben sich die Schüler mit Anschreiben, Zeugnis, Lebenslauf und Praktikumsbescheinigung für die jeweiligen Abteilungen. Vorstellungsgespräche schließen sich an und wie im echten Arbeitsleben kleiden sich Lehrer und Schüler dafür richtig schick. Springfeld erzählt, wie aufgeregt die Schüler dabei seien. Und ebenso wie im echten Arbeitsleben gibt es eine einmonatige Probezeit. Die Kündigungsfrist beträgt zwei Wochen.
In der Holz- und der Elektronikabteilung produzieren die Schüler. Andere arbeiten als Dienstleister, wie die neue Fahrrad-Technik. Für Schüler, Lehrer und Tarmstedter werden dort seit Schuljahresbeginn Fahrräder repariert. Die Abteilung "Gesundheit und Soziales" hatte sich im vergangenen Schuljahr an einem Bewegungsangebot für Kleinkinder versucht. Nur fiel das mangels Nachfrage aus, bedauert Lehrerin Gabriele Schüßler. Die Schüler ihrer Abteilung seien "sozial hoch kompetent". Aber die Unterrichtszeit passte offenbar nicht zu der von Kinderveranstaltungen am Nachmittag. Derzeit beschränken sie sich auf Theorie nach dem Lehrbuch "Gesundheit und Soziales" und kochen passend zu den Themen. Milena Zeiffer und Neele Allers wenden ihre vegetarischen Frikadellen in der Pfanne und sagen über ihre Abteilung: "Hier lernt man was für später."
Mehr nach außen will Gabriele Schüßler gerne gehen, entsprechend des Schülerfirmengedankens: Gewinn erwirtschaften. An Ideen mangele es nicht: ein Kinderfest organisieren, Catering oder im neuen Tarmstedter Altenheim vorlesen. Vieles sei möglich. Aber die Arbeitsaufträge müssten sich ergeben, sagt sie und: "Es ist gar nicht so einfach, das in Gang zu kriegen." Dafür brauchen sie auch Marketing. Das ist in der Abteilung Verwaltung angesiedelt. Neuntklässler regeln dort alle personellen Fragen der Schülerfirma und deren Finanzen. Am Schuljahresende zeigt der Jahresabschluss, ob etwa ein Grillfest vom Gewinn der Firma organisiert werden kann.
Produkte zu verkaufen, fällt anderen Abteilungen leichter. Springfeld zeigt Auftragsarbeiten der Holzabteilung: Stehpulte und Tische, die Lehrer oder eine Arbeitsgemeinschaft bei ihnen bestellt hatten. In einer Glasvitrine im Schulflur liegen Schlüsselanhänger aus Holz und Aluminium sowie Wärmekissen – genäht in der Textil- und Kreativwerkstatt. Dort arbeiten die Schüler mit Lehrerin Annette Sommerfeld an Weihnachtskarten. Verkaufen wollen sie die an Schüler, Eltern und Lehrer.
"Was wir machen, ist Praxis", sagt Springfeld über die Schülerfirma. Wenn die Schüler nach der zehnten Klasse eine Lehrstelle suchen, "muss Pünktlichkeit drin sein". Im Schulfirmenleben heißt das, wer krank ist, muss sich nicht nur für den Unterricht, sondern auch bei der Firma abmelden. Tut er es nicht, bekommt er eine Abmahnung. Einer Schülerin aus der Textilwerkstatt ist das einmal passiert. Sie versichert, noch einmal solle das nicht geschehen. Das ist auch besser so. Nach mehreren Abmahnungen wird der Schüler vom Mitarbeiter zum Praktikanten herabgestuft. Dann muss er aufräumen oder den Putzfrauen helfen, so Springfeld. Das kommt vor, aber selten. In der Textil- und Kreativwerkstatt hegen Schüler Berufswünsche wie Grundschullehrerin oder "was Medizinisches". Die Arbeit an den Nähmaschinen und Bügelbrettern empfinden sie als "Ausgleich zu den Kopffächern". Schülerfirma kann aber auch bedeuten, sich auf den späteren Beruf vorzubereiten.
Marija Wagner lötet in der Elektronikabteilung an einem Übungsstück. Sie will Veranstaltungskauffrau werden. "Da gehört Technik automatisch mit dazu", sagt sie. Und wenn sie vielleicht noch Eventmanagement studiert, sei auch da das Wissen um Technik nicht falsch. Sie hält die Schülerfirma für eine sinnvolle Sache. Jedes Profil helfe weiter, man müsse nur vorher überlegen, was man will. Oder was man mag.
Agnes Henne sitzt bei der Schülerzeitung vor dem Computer, weil sie gerne Texte schreibt. Was sie später werden will, weiß sie noch nicht. Ihre Nachbarin Suela Boin designt lieber Seiten. Sie möchte Technische Zeichnerin werden. Beide sagen: "Die Schülerfirma hilft, einen Beruf zu finden." Dann hält Suela Boin kurz inne und fügt hinzu: "Ich hoffe."