Aktuelles
Bildungs- und Drogenpolitik im Fokus
Von Lars Fischer - WeserKurier 28.11.2012
Tarmstedt. Politik-Frust und Desinteresse kann man den Schülerinnen und Schülern der Tarmstedter KGS ganz sicher nicht vorwerfen. Zusammen mit ihren beiden Lehrern Erika Otten und Markus Wollny hatten die Jugendlichen für die Oberstufen-Jahrgänge eine Diskussionsrunde vorbereitet, die genau die Themen aufgriff, die ihnen selber am meisten unter den Nägeln brennen. An allgemeiner Selbstdarstellung und Wahlkampf-Werbung waren sie nicht interessiert, sie hatten konkrete Fragen, die die eingeladenen Politiker auch – mehr oder weniger – konkret beantworteten.
Der Einladung auf das Podium im Forum der Schule hatten mit Mechthild Ross-Luttmann (CDU), Bernd Wölbern (SPD), Hendrik Jürgens (FDP), Marianne Knabbe (Die Grünen), Klaus Heinbockel (Die Linken) und Klaus Bolte (Piraten) Kandidaten aller Parteien, die eine reelle Chance haben, bei der Wahl am 20. Januar 2013 in den Hannoveraner Landtag einzuziehen, angenommen. Sie sahen sich inhaltlich gut vorbereiteten Schülern gegenüber, die sich auf zwei Themenkomplexe beschränken wollten und diese ausführlich und nach den Gesichtspunkten, die ihnen wichtig waren, abarbeiteten.
Die Politiker dankten den Schülern ihre Arbeit mit kurz gehaltenen und klar formulierten Antworten. Sie machten es dem Moderationsteam mit Marie Wieden, Janis Baeßler, Benjamin Ringen und Gregor Merklein insofern leicht, als dass sie kollegial miteinander umgingen, sich an die knapp bemessene Redezeiten hielten und auf wahltaktisches Geplänkel untereinander verzichteten. Allen sechs Kandidaten war das Bemühen um Verständlichkeit und sympathische Ausstrahlung anzumerken, es gelang unterschiedlich gut.
In der ersten Runde zur Bildungspolitik standen das sogenannte Turbo-Abitur und die Studiengebühren auf der Agenda. Die Jugendlichen wollten wissen, welche Parteien für eine Verkürzung der Schulzeit von 13 auf zwölf Jahren stehen und was die Politiker davon halten, dass ihnen diese Entscheidung einen Alltag gebracht habe, in dem für Freizeit kaum noch Platz bleibe. Vage blieben die Antworten in Bezug auf die Frage, wem die kürzere Schulzeit nütze. Mit dem Argument des Standortvorteils im europäischen Wettbewerb war – den Reaktionen der Schülerschaft nach zu schließen – jedenfalls nicht zu punkten. Deutlich wurde auch, dass die Verkürzung der Schulzeit mit einer Anpassung der Inhalte und beispielsweise einem weiteren Ausbau von Ganztagsschulen unterfüttert werden müsse; darin sind sich die Befürworter und Gegner einig.
Hinsichtlich der Abschaffung von Studiengebühren, die alle Bundesländer außer Bayern und Niedersachsen beschlossen haben, sind die Kandidaten aber erwartungsgemäß uneins. Während die Vertreter der regierenden Parteien CDU und FDP die Gebühren verteidigen, wollen sämtliche Oppositions-Vertreter sie abschaffen. Auch Ross-Luttmann meinte, sie werde ihre Position überdenken, wenn ihr jemand sagen könne, wo die dann fehlenden 100 Millionen Euro für den niedersächsischen Bildungsetat herkommen sollen. Dafür hatte ein Schüler aus den Zuhörerreihen eine Erklärung, die direkt in den zweiten Themen-Schwerpunkt führt: Cannabis legalisieren, besteuern und mit den Mehreinnahmen das Loch stopfen.
Die Freigabe sogenannter weicher Drogen – also hauptsächlich Haschisch und Marihuana – war die zweite Fragestellung, nach der die zukünftigen Wähler die Positionen der Parteienvertreter abklopfen wollten. Hier war die Herangehensweise der Politiker höchst unterschiedlich. Während der gelernte Jurist Jürgens und der ehrenamtliche Schöffe Wölbern aus der strafrechtlichen Praxis berichten konnten, führte Ross-Luttmann warnend drogentote Mitschüler aus ihrer eigenen Schulzeit an. Knabbe kritisierte das "Rumgeeiere", dass zwar jeder Drogen-Besitz strafbar sei, geringe Mengen – zum Eigenbedarf – aber nicht von der Justiz verfolgt würden.
Zustimmung zu Entkriminalisierung
Bolte sprach sich für eine Entkriminalisierung aus und gewann Zustimmung für seinen Satz "Dröhnung ist nicht böse", Rauscherfahrungen habe es historisch in jeder Gesellschaft gegeben. Heinbockel, der zugab, früher selber ein paar Mal an einen Joint gezogen zu haben, hatte einen grundlegenderen Vorschlag: "Ändert die Realität, dann müsst ihr nicht zuviel kiffen!" Ob mit Tüte oder ohne – dazu haben sich die politikinteressierten Tarmstedter Schüler trotz knapp bemessener Freizeit offenbar sowieso schon längst aufgemacht.