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Ukraine ist plötzlich ganz nah
Tarmstedter KGS-Schüler treffen bei internationalem Projekt auf Gleichaltrige aus Osteuropa
Ukraine ist plötzlich ganz nah
Von Johannes Heeg
Beim Europa-Projekt in Kreisau wird auch gearbeitet. Ein typisches Bild aus einem der Workshops: Je zwei Schüler der KGS Tarmstedt, des Gimnazjums Dr. Wandy Blenskiej (in Kowale bei Danzig) und einer ukrainischen Schule in Gorlivka beschäftigen sich mit einem Europa-Thema. Die abgebildete ukrainische Lehrerin möchte ihren Namen nicht nennen.
Foto: frei
Aus der Ukraine hört man in diesen Tagen nicht viel Gutes. Abspaltung der Krim, diplomatische Bemühungen, Referendum in der Ost-Ukraine. Schüler der KGS Tarmstedt haben in diesen Tagen Gelegenheit, mit Gleichaltrigen aus dem Krisenland zu sprechen – nicht über Facebook, sondern von Angesicht zu Angesicht.
14 Schülerinnen und Schüler der Tarmstedter KGS und zwei ihrer Lehrer befinden sich im Moment in Polen. Bis heute nehmen sie an einem europapolitischen Praktikum teil, zusammen mit Jugendlichen aus Polen und aus der Ukraine. Nachdem die Zehntklässler zunächst zwei Tage in Danzig waren, wo sie sich unter anderem mit der Solidarnosc-Bewegung beschäftigt haben, sind sie ins niederschlesische Kreisau weitergereist.
„Die Jugendbegegnungsstätte, in der wir hier untergebracht sind, war einst das Gut der Familie von Moltke“, berichtet der Lehrer Markus Wollny. Helmuth James Graf von Moltke war eine der Führungspersönlichkeiten des Kreisauer Kreises, einer bürgerlichen Widerstandsgruppe, die sich während der Zeit des Nationalsozialismus mit Plänen zur politisch-gesellschaftlichen Neuordnung nach dem angenommenen Zusammenbruch der Hitler-Diktatur befasste. „Die haben damals schon über Europa nachgedacht“, so Wollny.
Genau das sollen seine Schüler auch. Und zwar in engem Austausch mit den Jugendlichen aus Polen und der Ukraine, mit denen sie nicht nur ihre Freizeit verbringen, sondern auch in Workshops gemeinsam arbeiten. „Da geht es um Themen wie Demokratieverständnis und EU-Erweiterung, aber auch darum, wie man Sprachbarrieren überwindet“, sagte Lehrer Wollny gestern im Telefon-Interview.
Die ukrainische Gruppe kommt aus Gorlivka, einer Stadt in der Region Donezk im Osten der Ukraine mit rund 250 000 Einwohnern. „Die Region ist russisch geprägt, die Schüler sprechen alle russisch“, hat Wollny in den vergangenen Tagen erfahren. Dennoch sähen sich die Jugendlichen als Ukrainer, wie sie bekundet hätten, „sie wollen nicht zu Russland“. Sie machten sich große Sorgen, weil sie ihr Land als „Spielball der Politik und der Großindustriellen“ sehen. Den örtlichen Medien trauten sie nicht, weder den ukrainischen noch den russischen, sagt Wollny. Stattdessen informierten sie sich mit Hilfe sozialer Netzwerke. Obwohl jetzt der Bürgermeister von Gorlivka von russischen Separatisten zum Rücktritt gezwungen wurde, herrsche kein Chaos in der Stadt. „Uns wurde berichtet, dass zum Beispiel die Schule weiterläuft“, sagt Wollny. Allerdings wüssten die Schüler gar nicht, in welches Land sie am Freitag zurückfahren. „Es hat ja ein Referendum stattgefunden, und die Separatisten drängen auf einen schnellen Beitritt zu Russland.“
Die unklare Situation belaste auch die drei ukrainischen Lehrer, die ebenfalls an dem Europa-Projekt teilnehmen. Keiner wolle seinen richtigen Namen in der Zeitung lesen. „Dass sie alles daran gesetzt haben, mit ihren Schülern an dem Treffen teilzunehmen, finde ich sehr mutig“, sagt Wollny. Die Reise sei mit einem sehr hohen Aufwand verbunden, „aber sie wollten ein Zeichen setzen“.
Für Wollny ist es daher sehr wichtig, dass solche Schülerbegegnungen auf europäischer Ebene fortgesetzt werden. „Wir hoffen, dass wir künftig jedes Jahr einen Austausch auch mit osteuropäischen Schülern hinbekommen“, sagt der Organisator der Reise. 2015 werde das Treffen voraussichtlich in Tarmstedt stattfinden.